DCC: Was ist der „digitale Kalibrierschein“ und was sind mögliche Anwendungsfälle?

Wenn Sie sich im Unternehmen schon einmal mit Prüfmitteln beschäftigt haben, kennen Sie ihn: den Kalibrierschein. Sicherlich ist Ihnen auch der Begriff „DAkkS-Kalibrierung“ ein Begriff.

Seit einiger Zeit kursiert unter Prüfmittelverantwortlichen ein neuer Begriff: Man redet über das „DCC“-Format – auch bekannt als „digital calibration certificate“ – oder auf Deutsch: der DIGITALE KALIBRIERSCHEIN.

Was ist der „DCC“?

Der „DCC“ (engl.: digital calibration certificate) ist ein Austauschformat für Kalibrierinformation auf Basis des bewährten Formates „XML“ (Extensible Markup Language). Der Vorteil dieses Formates ist, dass es sowohl Menschen, als auch Maschinen lesen können.

Das XML-Schema des „DCC“ wurde unter Federführung der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB) unter Mitwirkung zahlreicher Personen und Organisationen auch außerhalb der PTB entwickelt. In mehreren Arbeitskreisen wird auch zusammen mit internationalen Partnern die Entwicklung und Nutzung des „DCC“ voran getrieben.

Bei der Entwicklung unserer Software-Plattformen AUDITTRAILS 17025 bzw. AUDITTRAILS 15189 und AUDITTRAILS LIMS greifen wir immer wieder die Grundlagen der XML-Schema Definition auf um z.B. folgende Anwendungsfälle zu realisieren:

  • Erstellen einer datenbasierten Kalibrierdefinition für Einrichtungen im akkreditierten Bereich zur Ausleitung eines DIGITAL CALIBRATION REQUEST (DCR) – also dem „Anfrageformat“ für eine Kalibrierung, das in Ihrem Labor die anwendungsbezogene Kalibrierdefinition dokumentiert.
  • Einlesen einer DIGITAL CALIBRATION ANSWER (DCA) – zur Verifizierung der Kalibrierergebnisse auf Basis der Kalibrierdefinition
  • Bereitstellung einer Middleware, die über ein einfach verständliches, webbasiertes User-Interface ermöglicht, Kalibrierinformationen im „DCC“ Format auszuleiten.

Wozu kann man den „DCC“ nutzen?

Der Vorteil, den man aus einem digitalen Austausch von Kalibrierinformationen ziehen kann, liegt auf der Hand. Wichtige Informationen über den Kalibrierstatus, die Messunsicherheit, den Messbereich oder die Anwendung von Korrekturfaktoren eines Mess- oder Prüfmittels können für Maschinen oder Software nutzbar gemacht werden.

Sind Kalibrierinformationen erst einmal in einer „DCC“ Struktur gespeichert, so können daraus sehr einfach Kalibrierscheine, die für den Ausdruck bestimmt sind, erzeugt werden, was aber ggf. in naher Zukunft gar nicht mehr wirklich notwendig sein könnte – es sei denn, man hat keine Möglichkeit die XML-Strukturen intelligent zu archivieren und muss auf „Papierarchive“ zurückgreifen.

Was ist das „D-SI“ Format, und was hat es mit dem „DCC“ zu tun?

Im Zusammenhang mit dem „DCC“ wird häufig der Begriff „D-SI“ oder „das neue digitale SI-Einheitensystem“ verwendet. Sie haben sich ggf. bereits befragt, was es damit auf sich hat, und was das mit dem „DCC“ zu tun hat.

Das ist im Prinzip ganz einfach: Um in einem maschinenlesbaren Austauschformat mit physikalischen Einheiten richtig umgehen zu können, ist es notwendig eine eindeutige digitale Repräsentation dieser festzulegen. Es muss also einen „Syntax“ geben, den eine Maschine ggf. eindeutig als physikalische Einheit interpretieren kann.

Der Syntax des D-SI Formates ist sehr einfach aufgebaut und ist in der Lage, jede SI-Einheit, abgeleitete Einheiten und auch Umrechnungen in andere Einheitensysteme zu gewährleisten.

Dabei gilt immer wieder das gleiche Schema: eine SI-Einheit (z.B. „Meter“) erhält einen optionalen SI-Präfix (z.B. „Milli“) und einen optionalen Exponenten (z.B. „²“). Durch einen einfachen, als Multiplikation zu interpretierenden Ausdruck kann so die Einheit „mm²“ digital beschrieben werden – die SI-Einheit ist grün hervorgehoben:

\milli\metre\tothe{2} entspricht „mm²“


Quelle: www.ptb.de

Welche Anwendungsfälle gibt es für das „DCC“?

Wir haben für diesen Artikel zwei – aus unserer Sicht wichtige – mögliche Anwendungsfälle ausgewählt und näher beschrieben:

  • Die Definition und Dokumentation einer Kalibrierung im Anwendungsbereich und die Verifizierung des Kalibrierscheins im akkreditierten Labor
  • Die digitale Nutzung von Kalibrierinformationen in der Serienfertigung

USE CASE 1:
Die Definition und Dokumentation einer Kalibrierung im Anwendungsbereich und die Verifizierung des Kalibrierscheins im akkreditierten Labor

Wer in einem akkreditierten Laboratorium tätig ist, der kennt die Frage von Begutachter und Auditoren: „Wo haben Sie festgelegt, wie ihre Einrichtungen für den spezifischen Anwendungsbereich ihrer akkreditierter Verfahren kalibriert werden sollen?“

Eine anwendungsbezogene Festlegung des zu kalibrierenden Messbereichs macht aus unserer Sicht auch total Sinn und wird auch von der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) verlangt. Dies hat Gründe, die wir zunächst näher beleuchten wollen.

Wir sehen häufig, dass sich in Projekten beschwert wird, dass eine „DAkkS-Kalibrierung“ so teuer ist und deshalb lieber auf Werkskalibrierungen zurückgegriffen wird. Das ist erstens falsch und zweitens nicht richtig.

Falsch ist, dass man im Volksmund dazu „DAkkS-Kalibrierung“ sagt. Der richtige Begriff wäre „metrologisch rückführbare Kalibrierung eines kompetenten Kalibrierlabors“. Das bedeutet, das ein akkreditiertes Prüflaboratorium die Kalibrierung mittels metrologisch rückführbarer Kalibratoren oder Normalen durchführt und durch ein DAkkS-Symbol auf dem Kalibrierschein seine Kompetenz belegt.

Nicht richtig ist, dass Werkskalibrierungen immer kostengünstiger sind. Wir haben Kalibrierscheine gesehen, wo Temperaturdatenlogger von -40°C bis 1600°C kalibriert wurden, obwohl der Datenlogger nur zwischen -20°C und 40°C eingesetzt werden – was dazu führt, dass die Kalibrierung unnötigerweise auf große Messbereiche ausgelegt wird, während im eigentlichen Anwendungsbereich aber ggf. nur zwei Kalibrierpunkte vorliegen. Das macht den Kalibriervorgang unnötig teuer – und erfüllt gleichzeitig nicht mal seinen Zweck, da die Kalibrierergebnisse im Anwendungsbereich ggf. nicht ausreichend sind.

Es macht also aus unserer Sicht sehr viel Sinn, auf Basis der akkreditierten Verfahren den zu kalibrierenden Anwendungsbereich festzulegen. Die Software-Plattform AUDITTRAILS 17025 bzw. AUDITTRAILS 15189 fungiert dabei mit einem einfachen User-Interface als Middleware, um die Kalibierdefinition festzulegen, die auch als „DCR“ ausleitbar gestaltet werden kann.

Ein Beispiel:

Es soll im Rahmen der Kalibrierdefinition für einen Raumtemperatur-Datenlogger festlegt werden, dass am Kalibrierpunkt 21°C kalibriert werden soll. Um vom Kalibrierlabor eine Konformitätsaussage erhalten zu können, oder eine laboreigene Konformitätsaussage zur Verwendung der Einrichtung treffen zu können, müssen Grenzwerte festgelegt sein.

Die Sollwertvorgabe ist 21 +-1°C. Über die grafische Eingabe wird der Parameter samt Grenzwerte definiert – die Information kann in eine XML-Struktur mit Hilfe der D-SI-Definition (grün hervorgehoben) transferiert und als Kalibrierpunkt im DCR aufgenommen werden.

<siTest:testData id="Soll- und Grenzwertvorgabe Temperatur">
		<si:real>
			<si:label>temperature</si:label>
			<si:value>21.00</si:value>
			<si:unit>\degreecelsius</si:unit>
			<si:coverageInterval>
				<si:intervalMin>20.00</si:intervalMin>
				<si:intervalMax>22.00</si:intervalMax>
			</si:coverageInterval>
		</si:real>
	</siTest:testData>

Gemäß der Vorgabe wird nun ein Kalibrierergebnis innerhalb der definierten Grenzwerte erwartet.
Als gemessener Wert wird z.B. 21,05°C erfasst. Eine Konformitätsaussage (Anzeige im Status) kann nur unter Angabe der Messunsicherheit von 0,5°C und einer festgelegten Entscheidungsregel stattfinden. Über das Einlesen des Kalibrierergebnisses im DCC-Format kann das Kalibrierergebnis mit der digitalen Kalibrierdefinition abgeglichen und verifiziert werden. Sind alle Kalibrierpunkte unter Anwendung der definierten Entscheidungsregel innerhalb der definierten Grenzwerte, so erhält die Einrichtung automatisch ihren gültigen Kalibrierstatus, das Datum für die nächste Fälligkeit kann berechnet werden und die Informationen über messbereichsbezogene Messunsicherheiten und die Verifizierungsgrundlage der Kalibrierung ist systematisch erfasst.

Auf diese Art und Weise verifizieren akkreditierte Laboratorien, die die AUDITTRAILS-Plattform im Einsatz haben, Kalibrierscheine bei Ankunft.

<siTest:testData id="Ist-Wert Temperaturmessung">
		<si:real>
			<si:label>temperature</si:label>
			<si:value>21.05</si:value>
			<si:unit>\degreecelsius</si:unit>
			<si:expandedUnc>
				<si:uncertainty>0.50</si:uncertainty>
				<si:coverageFactor>2</si:coverageFactor>
				<si:coverageProbability>0.95</si:coverageProbability>
				<si:distribution>normal</si:distribution>
			</si:expandedUnc>
		</si:real>
	</siTest:testData>

Um auf unsere Ausgangsfrage zurückzukommen, wie Sie mit AUDITTRAILS ihre Definition der Kalibrierung im Anwendungsbereich der akkreditierten Verfahren dokumentieren: „Wir dokumentieren die Kalibrierdefinition digital – als Datensatz auf Basis der DCC Definition“

Folgende Abbildung zeigt eine datenbasierte Verifizierung eines Temperatur-Datenloggers nach Herstellerangaben unter Verwendung der absoluten Messunsicherheit:

USE CASE 2:
Die digitaler Nutzung von Kalibrierinformationen in der Serienfertigung

Zulieferer-Unternehmen in der Automobilbranche sind in der Regeln zertifiziert nach IATF 16949. Auch in der IATF 1694 ist – analog zu den Anforderungen an akkreditierte Laboratorien und deren Einrichtungen – gefordert, dass qualitätsrelevante Fertigungsprüfmittel metrologisch rückführbar kalibriert sind. Abweichungen im Audit bei diesem Normpunkt können weitreichende Folgen in der Lieferfähigkeit haben. Häufig erhalten Sie als Unternehmen bei nicht-rückführbaren Prüfmitteln zunächst Nebenabweichungen. Stellen sie diese nicht ab, droht im schlimmsten Falle die Hauptabweichung bzw. Lieferstopp.

Prinzipiell gilt hier – für Fertigungsprüfmittel – das Gleiche. Es ist eine adäquate Kalibrierdefinition des Prüfmittels samt Festlegung der Grenzwertanforderungen zu dokumentieren und das Kalibrierergebnis gegen die Anforderung zu verifizieren.

Kalibrierpyramide
Kalibrierpyramide – der Weg der metrologischen Rückführbarkeit bis hin zum nationalen Metrologie-Institut

Digitale Informationen über den Kalibrierstatus eines Fertigungsprüfmittels können in der Serienfertigung doch zu einer erheblichen Effizienzsteigerung führen.

Ein Beispiel:

Ein Drucksensor, der in einer Fertigungslinie in einem End-of-Line-Prüfstand einen qualitätssichernden Messwert erfasst, ist fällig zur Kalibrierung und wird im Rahmen der Wartung ausgebaut und durch einen Austauschsensor ersetzt, der soeben intern kalibriert wurde.

Heute muss der Prüfmittelverantwortliche den Kalibrierschein sichten und die Ergebnisse verifizieren. Ggf. sind Korrekturfaktoren anzuwenden.

Was viele an dieser Stelle nicht wissen: Ein vorhandener Kalibrierschein (auch mit DAkkS-Symbol) ist nicht der „Freifahrtschein“ zur Verwendung des Prüfmittels. Denn die Kalibrierung ist lediglich der Vergleich eines Prüfmittels an einer Referenz mit einem genauerem Prüfmittel oder einem Normal. Die Konformitätsaussage auf einem DAkkS-Kalibrierschein kann also auch „NICHT IN ORDNUNG“ sein. Dies kann bedeuten, dass ein Prüfmittel „justiert“ werden muss, oder dass ggf. Korrekturfaktoren anzuwenden sind, um ein korrektes Ergebnis zu erhalten. Mehr Details hierzu erläutern wir in unserem Artikel „DAkkS-Kalibrierschein: Warum das nicht gleich immer „i.O.“ heißt!“

Das Einspielen bzw. nutzen digitaler Kalibrierinformationen in den Fertigungsprozess kann dazu führen, dass:

  • Fertigungsprozesse besser und richtig überwacht werden.
  • nicht-wertschöpfende Tätigkeiten abgebaut werden.
  • Korrekturfaktoren sicher angewandt und dokumentiert werden.
  • die Lieferfähigkeit nicht gefährdet wird.
  • uvm.

Der „DCC“ und das digitale Akkreditierungssymbol – DAkkS und PTB kombinieren zwei Digitalisierungsprojekte

Heute ist der Kalibrierschein – insbesondere der Kalibrierschein mit Akkreditierungssymbol – besonders in der Industrie der Nachweis der metrologischen Rückführbarkeit von Messergebnissen. Das Akkreditierungssymbol (DAkkS-Logo in Kombination mit der Registrierungsnummer des kompetenten Prüf- oder Kalibrierlabors) wird demnach heute unter Beachtung der Akkreditierungssymbolverordnung der DAkkS als Bildzeichen vom Laboratorium auf den Kalibrierschein aufgebracht.

Mit der Entwicklung des „DCC“ stellte sich die Frage, auf welchem Wege das Akkreditierungssymbol in die Struktur des DCC eingebracht werden kann.

In einer anstehenden Pilotphase soll überprüft werden, wie diese maschinen- und menschenlesbaren Kalibrierzertifikate in die Prozesse von akkreditierten Konformitätsbewertungsstellen und deren Kunden integriert werden können. Von der DAkkS erhalten die teilnehmenden akkreditierten Stellen das neue digitale Akkreditierungssymbol, mit dem sowohl der DCC als auch PDF-basierte Ergebnisberichte und Konformitätsaussagen (engl. „attestation“) gekennzeichnet werden können. Dieses digitale Hoheitszeichen der DAkkS ist kryptografisch verschlüsselt und elektronisch verifizierbar. Durch das mit dem digitalen Akkreditierungssymbol verknüpfte Verfahren lässt sich die Identität der Konformitätsbewertungsstelle sowie der Status ihrer Akkreditierung auslesen und die Echtheit des Inhaltes als „eAttestation“ manipulationssicher bestätigen.

Das Projekt ist ein Baustein der Initiative „QI-Digital“. Gemeinsam mit DAkkS und PTB engagieren sich in der Initiative „QI-Digital“ die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), das Deutsche Institut für Normung e. V. (DIN) und die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE (DKE). Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unterstützt QI-Digital als wesentlichen Beitrag für den Erfolg von innovativen Technologien, Produkten und Prozessen – zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland.

Ausblick

Wir hoffen, dass wir mit unserem Artikel über das „DCC“ und potentieller Anwendungsfälle auch bei Ihnen die ein oder andere Idee für andere Anwendungsfälle ausgelöst haben. Wir sind davon überzeugt, dass durch die Nutzung des DCC-Formates viele Messfehler und Interpretationsfehler sowie Missbrauch vermieden werden können und bei der Verifizierung von Kalibrierergebnissen in Zukunft sehr viel Zeitaufwand für nicht-wertschöpfende Tätigkeiten abgebaut werden kann.

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